roter Bagger, gelber Bagger – oder: das musikalische (Baustellen-) Gedächtnis des Großen

16:19

mit dem Großen war ich in letzter Zeit beinah am Verzweifeln. unsere Klavierschule hat das gleichzeitige Spiel beider Hände eingeführt und irgendwie ging es ab hier nicht recht weiter. da er offensichtlich mit dem Notenlesen und beidhändigen Spiel überfordert war, dachte ich mir, kein Problem, dann spielen wir das auswendig. und es hätte wirklich überhaupt kein Problem sein sollen, da wir das Stück, „Summ, summ summ“, bereits nach der Suzuki-Methode (einhändig) auswendig gespielt hatten!

aber: es ging trotzdem nicht vorwärts. die Tonfolgen „e-f-g-e“ und „d-e-f-d“ spielte er immer wieder öfters falsch als richtig. zu allem Überfluss kamen sie auch noch fast identisch in unserem Suzuki Lied, „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“, vor, ebenfalls erstmals mit Begleitung in der linken Hand. auch dieses hatten wir vorher einhändig gespielt, auch dieses wollte nicht klappen.

ich zog also folgende Schlüsse:

1. der Große hat bisher seine innere Vorstellung von der Melodie nicht wirklich mit dem Auf-und-ab auf dem Klavier verbunden – auch nicht während des Suzuki-Teils. ob er überhaupt eine innere Vorstellung hat, ist fraglich.

2. in seinem Gehirn stehen die Töne für sich allein. ein Melodie ist für ihn eine lange, lange Folge von „Vorher“ und „Nachher“. identische Teile hat er durchaus wiedererkannt („Hänschen klein ging allein“ – „Stock und Hut steh’n ihm gut“), Muster jedoch nicht („Hänschen klein“ – „ging allein“).

3. demzufolge hat er sich (wie auch ihrerzeit und leider auch heute noch seine Tigermama selbst) sehr stark an den Noten orientiert – anstatt das musikalische Gedächtnis zu fördern, wurde dieses durch Lesefähigkeiten „ersetzt“. und nun reichte die Lesefertigkeit nicht mehr aus für beide Hände gleichzeitig.
Exkurs: meine Omi, die auch Klavier spielen konnte, hat mir im zarten Alter des Großen immer ihren Klavierlehrer zitiert, der gesagt haben soll: „ein guter Klavierspieler spielt nicht auswendig!“ daran habe ich mich eisern gehalten, aber es war, wie ihr euch denken könnt, nicht zu meinem Vorteil.

außerdem hatte ich den Eindruck, dass meine ständige Anwesenheit beim Üben ihn daran hindert, sich eigenverantwortlich in ein Stück hineinzuarbeiten. also setzte ich ihn vor eine Klaviertastatur auf dem Ipad und forderte ihn auf, sich die Melodie zu „Summ, summ, summ“ und „Kuckuck“ mit einem Finger zusammenzusuchen. er solle mich rufen, wenn er es könne.
das sah zunächst nach Erfolg aus. er rief mich relativ schnell und alles war richtig. super. also ab ans Klavier! dort dasselbe Trauerspiel wie vorher. wenn er nicht auf dem Ipad so wunderschön richtig, rhythmisch, ohne schneller zu werden, mit Staccato und Portato gespielt hätte, hätte ich heute wahrscheinlich aufgegeben. Prädikat: unbegabt. seufz. (es hilft nicht, dass das Internet voll ist von Wunderkindern, die im gleichen Alter ganze Sonatensätze nach Gehör nachspielen können.)

roter-bagger-gelber-bagger2er scheiterte immer wieder an „e-f-g-e, d-e-f-d“. nicht lustig. was immer ich sagte, wie oft ich ihm auch die drei Töne zeigte, die jeweils zusammengehören – immer, wenn es gerade geklappt hatte, spielte der Große wieder ein verzweifeltes „d-e-f-g“ oder Ähnliches… bis mir die Bagger einfielen.


der rote Bagger:
fährt von der Sandgrube (e) zum Haus (g) und wieder zurück zur Sandgrube. dazwischen trinkt der Fahrer ein leichtes Bier (f). der gelbe Bagger: fährt von der Sandgrube (d) los, am Bier (e) vorbei, zum Haus (f), zurück zur Sandgrube (d). (das „Zurück“ war nämlich das größte Problem.)

 

es funktionierte wie Zauberei. das Gesicht des Großen hellte sich auf, das musikalische Muster wurde zum Kinderspiel und es klappte auf Anhieb, bei beiden Liedern. (beinahe) unglaublich.

Fazit: ab jetzt wird das Klavier zur Baustelle umfunktioniert. und ich trinke ein leichtes Bier.

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