da ich mir eine Menge Klavierschulen für kleine Kinder ansgesehen habe und einige derzeit mit (oder „an“?) meinem Sohn ausprobiere, möchte ich hier von unseren Erfahrungen und Eindrücken sprechen.
die Schule „Klavierspielen mit der Maus. Band 1. Spiel ohne Noten„ von Bettina Schwedhelm hat sehr viel positives Feedback erhalten. auch bei uns war sie dasjenige Buch, das meinen Sohn neugierig aufs Klavierspielen gemacht hat. mit ihren vielen, vielen bunten und lustigen Bildern (jede Aktivität ist mit mindestens einem Bild illustriert) und der comichaft dargestellten Lehrer-Schüler-Situation zwischen Maus und Bär ist sie sehr motivierend.
allerdings trügt der erste Eindruck, dass hier nur herumgespielt wird. im Gegenteil, meiner Meinung nach verlangt diese Klavierschule den Kindern mehr ab als andere Bücher, die gleich mit Noten anfangen.
so hat die Klavierschule gleich mehrere Schwerpunkte:
- grafische Notation, und zwar im reproduzierenden sowie im produzierenden Umgang mit ihr. das Kind soll also einerseits grafische Notationen (Kreise, Zickzack, Vierecke usw.) in Klänge umsetzen. dazu gibt es Hilfen und Anleitungen. andererseits soll der Klavierschüler selbst Klänge und Melodien erfinden, grafisch notieren und dann sogar wieder nachspielen
- auswendiges Nachspielen von Melodien, die für den Lehrer im Anhang notiert sind. dazu passend gibt es kleine Gedichtlein als Texte.
- Technik. von Anfang an wird auf die Handhaltung geachtet und das Kind dazu angehalten, die Melodien mit mehreren bzw. allen Fingern zu spielen. Legato und Portato werden z.B. schon früh (auf S.23 von 68) eingeführt. darüber hinaus wird mit Lautstärken und Tempi experimentiert.
- „Spielen nach Gefühl“. anhand einer Geschichte oder Situation sollen die Kinder frei Musik erfinden.
gegen Ende des Buches werden auch Notenwerte und mit Noten (aber ohne die 5 Linien) notierte Tonhöhen eingeführt.
wenn ein Klavierschüler dieses Buch von vorne bis hinten durchgearbeitet hat, kann er schon sehr viel. bestimmt wird es für ihn relativ schnell gehen, auch die Noten zu erlernen.
allerdings hat die Schule 68 Seiten und wenn man sie ernst nimmt, braucht man m.E. mindestens eine Klavierstunde pro Seite. bei ca. 40 Klavierstunden im Jahr würde das also länger als 1 1/2 Jahre dauern. das ist eine lange Zeit für Unterricht ohne Noten, finde ich, und das finden vielleicht auch die Kinder und deren Eltern.
auch kann ich mir nicht vorstellen, wie Kinder zu Hause mit dem Buch üben können. es scheint mir zu viel verlangt, dass sich die Kinder zu Hause anhand der Bilder an die Technik, die Geschichten, die Melodien, erinnern sollen. daher halte ich diese Klavierschule eher nur für eine gemeinsame Arbeit mit dem Lehrer geeignet. es gibt aber Klavierlehrer, die erfolgreich nach dem Buch unterrichten – vielleicht haben sie andere Erfahrungen gemacht.
Fazit: für ganz kleine Kinder (3 bis 4 Jahre) ist das eine sehr – evtl. zu – anspruchsvolle Klavierschule. man braucht Überzeugung und Durchhaltevermögen, um Melodien nachzuspielen oder eine schön gebundene Phrase zu spielen. hinter all den lustigen bunten Bildern versteckt sich ein hoher Anspruch, der durchaus für kleine Kinder auch zur Quälerei geraten kann, wenn der Lehrer ihn verwirklichen will. dies ist mein persönlicher Eindruck, der auch ein wenig gestützt ist durch…
meine Erfahrungen mit dem Buch: mein Sohn war ganz begeistert von den allerersten Seiten, auf denen man alles Mögliche mit dem Klavier ausprobieren darf… hineinrufen, an den Saiten zupfen, mit der flachen Hand möglichst viele Tasten drücken, auf Pedale treten, usw. als es jedoch daran ging, frei etwas zu erfinden, fühlte er sich ein wenig verloren. bei konkreteren Ansprüchen, selbst erfundene Melodien zu notieren und dann wieder nachzuspielen, war er überfordert und blockierte. die Bilder haben ihn dazu motiviert, wild in die Tasten zu hauen, aber nicht dazu, irgend eine Technik zu lernen. dazu war uns das alles wohl etwas zu wenig konkret.
es zieht bei ihm nicht, wenn ich sage, „die Maus möchte aber, dass du das ganz kurz spielst und dabei die Hand so und so hältst“. da zieht eine Note mit einem Punkt drüber viel mehr. wenn er hört: „der Punkt heißt Staccato, der muss so gespielt werden, schau her!“, dann diskutiert auch er nicht lange herum und macht es halt.
altmodische Tigeransichten, ich weiß. wir nehmen das Buch jetzt ab und zu zur Hand, wenn wir ein bisschen Abwechslung brauchen, aber als alleinige Klavierschule könnte ich es mir niemals nicht vorstellen.